Rentner

oder

Ich freue mich alt zu werden

 

"Wer kennt sie nicht, die kleinen possierlichen Tierchen..." Besser als Heinz Sielmann könnte ich es auch nicht formulieren, jedoch lässt sich die Fachvokabel "possierlich" stark anzweifeln, denn unter possierlich verstehe ich etwas anderes; so zum Beispiel Wiesel oder Gürteltiere, im Vergleich zu Rentnern sogar die zänkischen Pinguine. Auch "Tierchen" ist nicht direkt richtig. Nun gut, manche Rentner sind Rentnerchen, aber die meisten sind einfach nur fett. So circa ab 60 werden sie fett wie zwei Menschen zusammen. Daraus kann man eine einfache Formel ableiten: 60Jahre / 2Menschen = 30Jahre / Menschenleben. Sie haben also schon zweimal gelebt und sind ab 60 dabei ein drittes Leben zu beginnen. Somit beginnt das vierte Leben mit 90 und das fünfte mit 120.

 

Beispiel Straßenbahn

 

Jeder Tag ist identisch, halb Neun setzt sich die Kolonne in Bewegung in Richtung Haltestelle, da die verbilligten 9-Uhr-Monatskarten dann benutzbar sind. Ein Beispiel: 8:50: Einstieg in die Bahn. 8:53: Horden von Rentnern in den Querstraßen bewegen sich in Richtung Haltestelle. 8:55: Scharen von Rentnern an den Haltestellen (bei Wind und Wetter), jedoch steigen sie nicht ein, da die Karten ja erst ab 9.00 gelten. Das Grauen in Person und noch sitzt man in Sicherheit, noch! 8:58: Letzte Gelegenheit für ein Stoßgebet. 8:59: Die ersten Strickmützen werden in der Bahn gesichtet. (Warum wird jetzt nicht kontrolliert?) Das demonstrative Klappern der Krücken und anderer orthopädischer Gehhilfen hämmert nervenzerreißend auf die Ohren ein. Einige können sich nicht halten und fallen (ach, tschuldigung, stürzen) in die Bahn hinein. Der Anblick der gekreuzten Stöcke und Krücken zwischen den Rollstuhlrädern und Schoßhundtaschen erinnert mich an Mikado. Und nun geht es los! 9:00: Die ersten Schreie erschallen: „Junge Frau, stehen sie mal auf, ich muss mich setzen!“ Mein Blick geht angesichts des Elendes zu Boden. Unter den braunen und grauen Stoffmänteln sehe ich verbundene Beine in Schuhen, deren Hersteller bereits in den Sechzigern pleite waren, umsäumt von Stöcken (die nicht selten als gefürchtete Waffe eingesetzt werden) und den doch so praktischen 2-Rad-Kofferrollern mit Einkaufsbeutel in 20°-Neigung. Ein erstaunliches Tempo, mit dem die Rentner auf der Suche nach dem Menschen, den sie von seinem Platz vertreiben wollen, durch die bereits fahrende und heftigst hin und her wackelt. Ich danke dem Fahrer, denn so lange nicht der letzte Rentner sitzt, fährt er extra ruppig, vielleicht klappt es ja doch mal…

 

Thesen: 

• Egal, wie viele Menschen in der Bahn sitzen, die Zahl der Rentner reicht IMMER!, dass jeder seinen Privat-Sitzplatz-Schnorrer bekommt.

• Steigt nur ein Rentner ein (fiktiv zumindest) hat er sich genau DEINEN Platz ausgesucht.

• Der Stock des Rentners wird deinen Fuß in jedem Falle an der empfindlichsten Stelle treffen.

• Es gibt außer offenen Beinen, orthopädischen Einlagen und Herzkrankheiten aller Art keine Gegenargumente.

• Ist neben dir noch ein Platz frei, so wird sich im jedem Falle der fetteste Rentner in die Sitzschale pressen.

• Konkretisierung: Dieser Fall wird nur eintreten, wenn du am Fenster sitzt und es garantiert keine Fluchtmöglichkeit gibt.

• Der Rentner ist IMMER vor dir an der Tür, auch wenn du Olympia-Sprint-Meister bist.

• Bei der Verteilung der Platze gibt es vier Faktoren. 1. Der Rentner mit Krücke, 2. sein Gegenüber, 3. der Sitz, 4. die Schwerkraft. These: a) Der Rentner gewinnt IMMER. b) Du kannst nicht gewinnen. c) Wenn der Rentner nicht gewinnt, gewinnt der Sitz. d) Geht der zu Bruch, gewinnt die Schwerkraft, die immer auf der Seite der Rentner ist, da sie ebenso alt ist.

 

Beispiel Supermarkt

 

Der Rentner geht nicht einkaufen, wenn normale Menschen arbeiten, nein, weit daneben, der Rentner kauft ein, wenn Werktätige auch einkaufen müssen z.B. dienstags 19.00 oder freitags 13.00, ist ja sonst nichts los. Besonders zu beachten sind die Geldbörsen mit den zwei goldenen Knöpfen, die man seitlich aneinander vorbei schieben muss. An der Kasse wird jedes Geldstück umgedreht, es könnte ja noch eine römische Sästerze dabei sein… …Fünf Cent unter dem Zielbetrag merken die Rentner dann, dass es nicht reicht und bezahlen doch mit einem Hunderter.

Im Supermarkt entwickelt der sonst doch recht einfallslose Rentner eine erstaunliche Kreativität. So vermag er es (mit einiger Übung) den Einkaufswagen in nahezu perfekter Art und Weise als Waffe einzusetzen. Die Gichtfinger fest um den Griff geschlungen, den Stock als Bajonett im Wagen, den Kofferwagen in der anderen Hand fahren sie einem jeden, der ihnen im Wege zu den Sonderposten zu stehen scheint, lauthals von dem vor dem Laden angebundenen Pudel unterstützt, die Hacken und Waden kaputt, sie begeben sich in einen heiligen Krieg. Alle Rentner haben verbundene Beine. Ist das vielleicht nur eine kollektive Einkaufs-Kriegs-Verletzung?

Die Einkaufs-Koffer-Roller werden im Eingangsbereich, also am einzig möglichen Platz zur Öffnung der Automatiktür beladen. Kommt man ihnen zu nahe, muss man Fleischwunden, mindestens aber doch tötende Blicke aus längst verstorbenen Augen in kauf nehmen. Auf dem Parkplatz dann das gleiche Bild! Der Fußweg zur Seniorenresidenz (wo die Rentner übrigens voll verpflegt werden) kann 600 Meter breit sein, der Rentner findet ohne größere Anstrengung die einzig mögliche Autoausfahrt, die er dann in atemberaubendem Tempo kreuz und quer abschreitet. Jedoch erhöht sich das Tempo schlagartig, wenn die Haltestelle in Sicht kommt, wenn es schon nach 9.00 ist.

 

Thesen:

• Es ist immer ein Rentner mehr im Laden, als es Brot, Mich, Eier gibt.

• Der Rentner in deiner Nähe will das kaufen, was du willst, und wenn er dich beobachten muss, um es herauszufinden.

• Auf dem Weg zur Kasse ist dir immer ein Rentner im Weg. Es gibt garantiert keine Überholmöglichkeit. Wenn du den Umweg links an der Milch vorbei, zwischen den Tomaten und der Marmelade hindurch wählst, schnellt kurz hinter dem Honigregal ein weiterer Rentner hervor, um dann schlagartig zu erstarren und mit deutlich reduziertem Tempo genau an deine Kasse zu steuern. Er wird nicht überholbar sein, da der Stock quer im Wagen liegt.

• An einer vermeintlich rentnerfreien Kasse wird plötzlich hinter der dicken Mittvierzigerin ein kleinwüchsiger Rentner auftauchen.

 

Beispiel Arztpraxis

 

Der Rentner ist oft und gern beim Arzt, er braucht es auch. Dort trifft er Gleichgesinnte und kann ungehindert neue Attentate planen. Im Wartezimmer (immer wenn Berufstätige Zeit haben) sitzen die Rentner auf den abgekietscherten Sitzplätzen. Inmitten der offenen Beine, Hämorriden und Wasserhoden entstehen ständig neue Strategien zur Eroberung der Weltherrschaft.

Am Garderobenständer hängen mindestens 20 gleichartige Mäntel und ca. 19 Strickmützen. Spätestens jetzt zahlt es sich aus, dass jedes Kleidungsstück im Heim mit einem Namensschild versehen wird, denn sonst wäre es äußerst schwer die Mäntel zu unterscheiden. In der Ecke stehen die Hackenporsche in Reih und Glied. Der Warteraum riecht nach dem frisch gekauften Porree. Der Schirmständer ist bis zu bersten mit Stöcken gefüllt.

Der Rentner kann ausdauernd auf den Aufruf warten, er braucht ja die Zeit um zu reden, ist ja sonst keine Zeit.

 

Thesen:

• Die Anzahl der Sitze reicht immer genau (und nur) für die anwesenden Rentner aus.

• Rollstuhlrentner, die ihren eigenen Stuhl mitbringen, gehen zu anderen Ärzten und entlasten somit nicht die Sitzplatzsituation.

• Der Rentner ist immer kranker als du!

• Bist du vor einem Rentner an der Reihe, so wird er letztlich mit einem vorgetäuschten Schwächeanfall doch vor dir dran sein.

 

Entstehung der Rentner

 

Ein schwieriger Punkt. Es ist noch nicht genau erforscht, woher die Spezies der Rentner kommt. Die wahrscheinlichste Theorie ist, dass sie in so genannten Rentner-Brut-Farmen gezüchtet werden. Diese Farmen werden im Volksmund auch kurz Altenheim genannt. Je nach Entwicklungsstadium liegen sie im Bett bzw. können schon orientierungslos laufen oder gar richtig. Ist dieser Fall eingetreten, werden sie an den Stock gewöhnt und schließlich auch an den Hackenporsche, der je nach Kubikzahl bereits ab Führerschein Klasse 5 gefahren werden darf. Die Prüfungen finden im Berufsverkehr statt. Beliebte Prüfungsorte sind ALDI, der Bus, die schmale Treppe in hohen Häusern, in denen sämtliche Fahrstühle defekt sind, Parkplätze und Tiefgaragen aller Art und natürlich der Raum zwischen Wartezimmer und Behandlungsraum. Nach bestandener Prüfung bekommt der Rentner eine Brille, mit der er besser zielen kann. Nun dürfen sie eigenständig fahren, zuerst in der Gruppe, dann richtig allein. Mit einer Erweiterung des Führerscheins sind sie auch in der Lage, die ca. 12 Km/H schnellen Dreirad-Elektro-Sitz-Hackenporsche zu fahren, mit denen sie sich potentiellen Opfern schnell und lautlos annähern können. Ab einem gewissen Alter stellt sich das typische Verhalten wie z.B. Lotto spielen, 9-Uhr-Monatskarte kaufen, Porree essen ein. In diesem Stadium kann man den Rentner an das Radfahren gewöhnen. Er muss es lernen bei 2,4 Km/H das Gleichgewicht zu halten. Rentner, die dieses nicht schaffen, bekommen einen Rollstuhl, der sicher bequemer und breiter, jedoch nicht so wendig und zu schnell ist. Spätestens jetzt bildet sich auch der Drang zu Markenklamotten aus. Der Rentner bevorzugt Marken, die eigentlich mit dem Sturz des deutschen Reiches verschwunden waren; jedoch scheint es ihm möglich zu sein, aus irgendwelchen geheimen Bunkern noch Textilien dieser Art zu beschaffen. Die Strickmütze übernimmt die Funktion der Kopfbedeckung, während der Kunstdutt in der Reinigung ist bzw. neu weiß gefärbt wird. Rentner sind die Zeitzeugen einer vergangenen Zeitepoche, sie kennen nicht nur die Saurier, nein, vielmehr sind sie welche. Sie stellen eine längst verschollen Unterart der Saurier dar, die „Saurus Rentnochius“. Diese Art unterteilt sich weiterhin in den „S. R. Major“ und den „S. R. Minor“. Minor steht hier für kleine Rentner und Major für die fetten. Je nach Verhalten und Auftreten kann man noch zwischen „S. R. Porruns (Porree essend), Porschus (mit Hackenporsche), Aldus (der Supermarktrentner) und Medicus (der Rentner, der oft beim Arzt ist) unterscheiden.

 

Verschwinden der Rentner

 

Rentner treiben sich oft auf Friedhöfen rum, wurden aber niemals beim Besteigen bzw. Verlassen eines Grabes beobachtet. Es ist völlig unklar. Jedoch ist klar: Rentner verschwinden nicht, es werden immer mehr.

 

Worüber sich Rentner ganz besonders ärgern

 

Die folgenden Beispiele habe ich in der Straßenbahn selbst ausprobiert. Es kommt bei der Anwendung zu extremen Reaktionen.

 

Beispiel 1:

Ein Rentner betritt die Bahn und kommt, wie auch sonst, genau auf dich zu. Er stellt sich neben dich und meint: „Junge Frau, stehen sie mal auf!“ Deine erste Reaktion: „Ich bin nicht jung!“ Der Rentner wird sich wundern, wie jemand widersprechen kann und sich einen anderen Platz suchen. Mit etwas Glück findet er den Platz gegenüber von dir und stellt recht schnell fest, dass er nun entgegen der Fahrtrichtung sitzt und meint: „Ich kann nicht rückwärts fahren!“ Nun hat man ihn aufzuklären, dass er gar nicht fahren muss, weil das der Fahrer für ihn tut und sich außerdem die Fahrtrichtung der Bahn nicht ändert, egal wie herum man als Rentner sitzt.

 

Beispiel 2:

Ein Rentner betritt die Bahn und kommt, wie auch sonst, genau auf dich zu. Er sieht den Rucksack auf dem Sitz neben dir und sagt kopfschüttelnd in bestimmtem Ton: „Wo gibt’s denn so was?“ Deine Antwort lautet: „Bei Karstadt, aber das war der Letzte.“

 

Beispiel 3:

Ein Rentner betritt die Bahn und kommt, wie auch sonst, genau auf dich zu. Er fragt: „Ist das nicht der Schwerbeschädigtenplatz?“ Du siehst an die Wand, entdeckst ein weiteres Schild und antwortest: „Nein, das ist der Sitz für Nichtraucher!“

 

Beispiel 4:

Ein Rentner betritt die Bahn und kommt, wie auch sonst, genau auf dich zu. Er will deinen Platz, weil er nicht stehen kann. Du entgegnest: „Na in den Schuhen könnte ich auch nicht stehen!“